Peter Hettlich, Grüner Aufbau Ost

Hettlich, total normal

Maja Zehrt, LVZ Journal, Freitag, 27.Juni 2003

Was tut eigentlich ein Bundestagsabgeordneter der lieben langen Tag? Wir hefteten uns einem Politiker aus unserer Region an die Fersen.Die Sonnenblume ist nicht einfach nur ein Anstecker, sie ist ein Bekenntnis. Peter Hettlich trägt sie an der Brusttasche seines senfgelben Sakkos spazieren. In den gläsernen Aufzügen, die lautlos zwischen den verschiedenen Ebenen im Paul-Löbe-Haus des Bundestages gleiten. In den unterirdischen Fluren, wo Männer in dunklen Anzügen und Frauen in hellen Kostümen tippeln. Peter Hettlich, 44 Jahre, Abgeordneter aus Ochsensaal bei Torgau, trägt Jeans, Sonnenblume und einen entschlossenen Blick: 1998 ? Einstieg bei den Grünen. 2000 Sprecher des Kreisverbandes Torgau-Oschatz. 2002 ? Bundestagsabgeordneter, Sprecher der Arbeitsgruppe Ost, ordentliches Mitglied im Ausschuss für Verkehr, Bau und Wohnungswesen, stellvertretendes Mitglied im Agrar- und Bildungsausschuss. Ein steiler Aufstieg. ?Der reine Zufall?, sagt der gebürtige Kölner. ?Aber langsam lebe ich mich ein.? Ein ganz normaler Tag im Leben eines Bundestagsabgeordneten:9:20 Uhr: Peter Hettlich zieht sein Sweatshirt über dem Hemd aus, hängt eine blaue Krawatte um, schlüpft ins Sakko, klemmt sich mehrere Mappen unter den Arm und steckt den Kopf ins Zimmer seiner beiden Assistenten. ?Ich bin dann erstmal weg.? Durch schlauchartige Gänge unter den Straßen des Regierungsviertels strömen andere Abgeordnete ins Paul-Löbe-Haus. In dem könnte George Lucas prima eine neue Star Wars-Folge drehen, ohne irgendetwas ändern zu müssen. ?Man kann hier Wochen verbringen und sieht nicht einmal das Tageslicht?, sagt Peter Hettlich in einem kurzen Anflug von Sarkasmus.9:30 Uhr: Im Verkehrsausschuss spricht er mit den anderen Politikern, wie die Sicherheit von Bussen verbessert werden kann. Nach einer Stunde ist Pause. In der Cafeteria trinkt Hettlich einen Capuccino und isst hastig ein Stück Käsekuchen. Seine einzige Mahlzeit in den nächsten acht Stunden.11:00 Uhr: Wie ein Bienenvolk huschen die Ausschussmitglieder zurück in den wabenähnlichen Sitzungsraum. Experten diskutieren über den Stadtumbau Ost, Peter Hettlich spielt schon mal in Gedanken seinen Bericht für den Bildungsausschuss um kurz vor zwölf durch.

11:20 Uhr: ?Die brauchen da drinnen meine Stimme, damit wir die Mehrheit haben?, erklärt Hettlich und hetzt in die nächste Wabe zum Agrarausschuss. Die Mehrheitsverhältnisse in den Ausschüssen spiegeln jene im Bundestag wider . Die Abstimmung verschiebt sich, Peter Hetlich telephoniert mit seinen Mitarbietern, rast zurück un den Verkehrsausschuss. Dort hat er nicht mal Zeit, den Stuhl anzuwärmen.

11:49 Uhr: Im Bildungsausschuss hält er einen Kurzvortrag über die europäische Raumfahrtpolitik und Sicherheit im All. Bereits als Schüler begeisterte sich der Grüne dafür. ?Ich habe als Kind durch das selbstgebastelte Teleskop meines Vaters die Venua beobachtet.? In seinem Büro ist Hettlich nur einen Katzensprung von der Milchstraße entfernt. Ein großes Sternen-Poster hängt direkt gegenüber dem Schreibtisch. ?Ist ein Hobby von mir.?

12:08 Uhr: Der Agrarausschuss zieht sich wie ein Gummiband, Hettlich ist gestresst, um 13 Uhr hat er ein Gespräch mit einem Vertreter vom Bund für Umwelt und Naturschutz. Eine Stunde später soll er der Klasse 10 d des Samuel-von-Pufendorf-Gymnasiums aus Flöhe erklären, was ein Abgeordneter den ganzen Tag so macht.

14:00 Uhr: Jungs in Schlabberhosen und Mädchen in engen Leggins schauen ihn kritisch an. Hettlich wischt umgehend alle Vorurteile über humorlose Politiker beiseite: Die Fragestunden im Plenum findet er ?sehr ätzend?. Bevor er ?zufällig Abgeordneter? wurde, arbeitete er ?als Sekretärin bei einem Architekten?. Später zog er als Projektleiter eines Ingenieurbüros nach Dresden und blieb im Osten. Zu den Grünen ging der gelernte Bauer, weil ihn die ökologische Parteilinie überzeugte und es unerträglich war, ?dass die NPD in meinem Kreis mehr Mitglieder hatte?. Seit er in Berlin wohnt, sieht er seine Freundin fast nur noch an den Wochenenden und ist ?wie ein Hefekuchen auseinander gegangen.? Die Schüler schauen ungläubig. ?ich habe mir das Gespräch vorher viel steifer vorgestellt?, wundert sich der 16-jährige Aik Eppendorfer.

15:15 Uhr: Klassenlehrerin Patricia Smolka hat keine Genehmigung für die Besichtigung der Reichtagskuppel. Doch Hettlich hat einen Abgeordneten-Ausweis, der alle Türen öffnet. Mit der aufgeregten 10 d im Schlepptau geht es hinauf zur Glaskuppel. Mehr als ein Freundschaftsdienst. Hettlich versteht sich als Vertreter des Volkes. ?Das klingt vielleicht ein bisschen naiv, aber so ist es nun mal.?

16:30 Uhr: Das Sakko hängt noch nicht am Kleiderhaken, da ertönt ein dumpfer Gong. Das Zeichen, dass alle Abgeordneten ins Plenum müssen. Eine Abstimmung steht an. Die Opposition will den schwer angeschlagenen Finanzminister zur Fragestunde herbei zitieren,
(?): Das Loch in der Staatsklasse ist noch größer als angekündigt. Hans Eichel soll sich und seine Finanzpolitik erklären. ?Reines geschäftspolitisches Kalkül?, sagt Hettlich trocken und macht sich auf den Weg. Die Regierungskoalition muss gegen den Antrag der Opposition stimmen, jede Hand wird gebraucht. Die Besucher auf der Zuschauertribüne stellen fest: ?Das ist ja wie im Kindergarten.? Eine Frau raunt ihrem Mann zu: ?Die sehen alle aus wie im Fernsehen. Nur schlanker.? Die Nachbarin fasst zusammen: ?Politiker wollte ich nicht sein.? Peter Hettlich macht den Job trotzdem. ?Hier kann ich was bewegen, schließlich sind wir die Legislative.?

17:43: In der Arbeitsgruppe für die Reform der Gemeindefinanzen diskutiert er mit der finanzpolitischen Referentin der Grünen, Susanne Weiß, über die Eigenheimzulage. Als die meisten seiner Kollegen längst auf dem Heimweg sind, lehnt er immer noch am Tisch, bohrt weiter. ?Wieso kommt das nicht schon 2004??

19:04 Uhr: Hettlich kaut an einem Stück Rindfleisch und erzählt von seiner Ausbildung zum Landwirt, dem Studium der Agrarwissenschaft. ?Ich hab?s einfach drauf.? Als Student hatte er nebenbei einen Biohof in der Eifel. ?Wenn ich auf dem Trecker sitze ? das ist wie Eiskunstlauf.? Die nächsten Pirouetten wird er mit seinem Parteifreund Jürgen Trittin drehen. Hettlich ist dagegen, den Saale-Seitenkanal auszubauen. Der Umweltminister will das Projekt durchziehen. ?Dieser Plan basiert auf völlig falschen Zahlen?, ärgert sich Hettlich und knetet seine riesigen Hände. ?Der Jürgen Trittin soll sich auf unser Gespräch gut vorbereiten, denn ich werde es auf jeden Fall tun.? Dass Peter Hettlich ausrutscht, ist eher unwahrscheinlich. Falls doch, ist der Aufprall für ihn nicht ganz so hart. (?)